Steve Jobs – Visionär, Tyrann, Geizhals, Genie, Wahnsinniger – Der Versuch einer Annäherung

Ehrgeiz und Perfektionismus – wie ein Aussteiger ohne Ausbildung Apple zu einer der wertvollsten Firmen machte und die Welt der Computer revolutionierte.

Ein Adoptivkind mit Problemen in der Schule, ein Studienabbrecher, ein Hippie in abgerissenen Klamotten, dessen Eltern und Freunde sich Sorgen um seine Zukunft machten – das sind die Anfänge von Steven Paul Jobs, genannt Steve.

Steve Jobs hat wohl mehrere Gesichter und Facetten. Auf der einen Seite ist er ein Visionär, der gleich mehrere Industrien veränderte und der zu denen gehört, die unser Bild des Computers prägten und noch weiter prägen. Eine andere Seite beschreibt einen Diktator, der die Umwelt nach seinem Willen formt, ob sie es will oder nicht. Sie beschreibt einen arroganten Geizhals und Tyrannen, der jeden feuert und verachtet, der nicht loyal zu ihm steht, der sein Auto auf dem Behindertenparkplatz parkt und der sich mit den Leistungen anderer schmückt.

Eine Geschichte über Jobs besagt, dass es bei Apple Menschen gibt, die grundsätzlich die Treppe benutzen, um ihm nicht im Fahrstuhl zu begegnen: aus Angst, nach der kurzen Fahrt ihren Arbeitsplatz los zu sein, weil Jobs nicht gefällt, woran sie bei Apple arbeiten.

Eine andere handelt davon, wie er zwar einen Computer nach seiner ersten Tochter Lisa benannte, gleichzeitig aber jahrelang kämpfte, um die Vaterschaft für sie nicht anerkennen zu müssen. Wie er ihrer Mutter jede Hilfe verweigerte, obwohl er selbst längst zu den reichsten Menschen Amerikas gehörte.

Eine dritte berichtet, wie er seinen Freund und Firmenmitgründer Steve Wozniak um mehrere Hundert Dollar betrog – ausgerechnet den begnadeten Bastler und Ingenieur, dem Jobs letztlich seinen Erfolg verdankt.

Jobs ist auch kein Programmierer wie Microsoft-Gründer Bill Gates oder wie Marc Zuckerberg von Facebook. Er ist kein Mathematiker wie Sergej Brin und Larry Page, die Google erfanden, kein Ingenieur wie Eric Schmidt und auch kein Physiker wie Gordon Moore, der Intel aufbaute. Und auch wenn Jobs‘ Name inzwischen auf insgesamt 313 Patenten steht, in der Liga der begnadeten Techniker ist er ein Niemand.

Daher mag es erstaunlich wirken, dass er so wichtig für den Apple-Konzern sein soll, dass der Börsenkurs regelmäßig einbricht, wenn es schlecht um seine Gesundheit steht. Auch jetzt, nachdem er lediglich seinen Rückzug von der Konzernspitze verkündete (er bleibt ja noch im Konzern),  gab der Kurs der Apple-Aktie sofort um fünf Prozent nach.

Möglicherweise liegt es an der dritten Facette der Person Steve Jobs. Es ist die des charismatischen Wunderkindes, des hochintelligenten Querkopfes, der eine Vision hat und ihr alles unterordnet. Es ist das Bild, das vor allem in den vergangenen Jahren übermächtig wurde angesichts des enormen Erfolgs des Unternehmens, das er 1976 zusammen mit zwei Freunden gegründet hatte. Eines Unternehmens immerhin, das ihn neun Jahre später rausschmiss und in das er zurückkehrte, um allen zu beweisen, dass er es leiten konnte.

Es ist die Facette von Jobs, dem begnadeten Verkäufer, von Jobs, der die Menschen von seinen Produkten und von seinen Ideen begeistert wie kein anderer Unternehmenschef, von Jobs, dem Technik-Guru, dessen Perfektionismus seine Untergebenen fluchen, seine Kunden aber jubeln lässt. Diese Facette ist es, die so entscheidend für den Erfolg Apples ist.

Auch dazu gibt es viele Geschichten. Eine handelt von seinem ersten Arbeitgeber Atari. 1974 bewarb er sich dort und wurde eingestellt, obwohl sein Auftreten selbst für das offene und fortschrittliche Silicon Valley als seltsam galt. In ihrem Buch Steve Jobs und die Erfolgsgeschichte von Apple zitieren Jeffrey Young und William Simon den ersten Atari-Ingenieur Allan Alcorn, der über das Einstellungsgespräch berichtete: „Er war praktisch in Lumpen gekleidet, in so Hippieklamotten. Ein achtzehnjähriger Studienabbrecher vom Reed College. Ich habe keine Ahnung mehr, warum ich ihn einstellte, ich weiß nur noch, dass er wild entschlossen war, den Job zu bekommen, und dass irgendein Funke spürbar war. Den Funken in diesem Mann konnte ich wirklich erkennen, diese innere Energie, den Willen, sein Ziel zu erreichen. Und außerdem hatte er eine Vision.“

Um Geld ging es ihm dabei offensichtlich nicht. Ja, er ist sehr reich, aber er könnte noch sehr viel reicher sein. Er hat sich von Apple nie ein Gehalt auszahlen lassen!! und auf viele Aktienoptionen verzichtet, die ihm angeboten wurden.

Legende sind dagegen die Berichte über seinen Perfektionismus, seine Versessenheit, jedes Detail so lange zu polieren und zu glätten, bis es seinen eigenen Ansprüchen genügt. Ein Beispiel beschreibt Vic Gundotra, Manager bei Google: Jobs habe ihn eines Sonntags angerufen, weil er unglücklich darüber gewesen sei, dass das Google-Logo auf dem iPhone nicht richtig angezeigt werde. „The second O in Google doesn’t have the right yellow gradient. It’s just wrong and I’m going to have Greg fix it tomorrow. Is that okay with you?“ Sinngemäß: Das Gelb des zweiten O in Google habe nicht den richtigen Farbverlauf, ob er einen Mitarbeiter schicken könne, um das Problem zu beheben.

Wenn Gates und Zuckerberg tatsächlich die Symbole für die Rache der Nerds an der Gesellschaft sind, als die sie oft bezeichnet werden, dann ist Steve Jobs die Rache der Aussteiger und Querköpfe.

Und was für eine. Er hat mit dem Apple I, dem Apple II und dem Macintosh nicht nur die sogenannten Heimcomputer mitgegründet, sondern mit dem iPod die Musikindustrie revolutioniert, mit dem Film „Toy Story“ digitalem Kino zum Durchbruch verholfen, mit dem iPhone und seinen Apps die Smartphones groß gemacht und mit demiPad das Tablet zum Massenprodukt entwickelt. Vor allem aber hat er der Welt gezeigt, dass Computer sexy sein können und nicht nur praktische Maschinen sind, die rechnen.

Steve Jobs ist nicht gestorben – das sei bei der der Hysterie noch mal klar gesagt. Aber er hat mit seinem Amt bei Apple das aufgegeben, was er am meisten liebte: Technik besser zu machen. Es ließe sich problemlos behaupten, dass damit eine Ära endet, aber das wäre der Blick in das halbleere Glas. Jobs selbst sähe es sicher lieber, es als Beginn einer neuen Zeit zu betrachten. Wie er selbst bei einer Rede vor Studenten sagte: „Death is the single best invention of life. It clears out the old, to make way for the new.“ Der Tod, so sagte er 2005, nachdem er eine Krebsoperation überlebt hatte, sei die beste Erfindung des Lebens. Mache er doch Platz für das Neue.

Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass er zum Wohle Apples bewusst Platz für einen geordeneten Übergang an der Unternehmensspitze gemacht hat. Der Kursrutsch der Aktie wäre wohl nicht zu halten gewesen, wenn Apple eines Tages häte verkünden müssen „unser Vorstandsvorsitzende ist verstorben“. Steve Jobs hat jetzt andere Aufgaben. Vergessen wir nicht seine schwere Krankheiten und der Kampf gegen Sie, der viel Kraft braucht. Mach es gut, Steve.

 

 

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